Guten Morgen liebe Leute!
Afghanistan, Juli 1973
Ich war mit Fuzzy unterwegs. Fuzzy war Junky. Tatsächlich hatte er mich in Teheran mit den Worten angesprochen: „Ich bin zwar Junky, aber link bin ich nicht“. Das war wörtlich der erste Satz, den er zu mir gesagt hatte. Ein fuchsiger, schwarz gekleideter Kerl, seine Haare reichten weit in den Rücken hinein. Er erinnerte mich an Dustin Hofmann in Midnight Cowboy. Ich stand damals noch im Bann des bildgewaltigen, surrealistischen Erzählers und Ex-Junkies W.S. Burroughs und hatte Lust, mehr über den Alltag eines Heroinbesessenen zu erfahren. Er seinerseits brauchte meine Hilfe, besonders an den Landesgrenzen, denn er hatte immer so wenig Geld, dass man ihn nicht ins Land lassen wollte. So bildeten wir erst einmal eine Zweckgemeinschaft, aber im Laufe der Zeit wurde dann Freundschaft daraus. Zusammen im selben Hotel wohnen taten wir aber nur selten. Immer wenn wir den Bus in einer fremden Stadt verließen, folgte Fuzzy mit seinen untrüglichen Instinkten sofort den Spuren von Heroin und schwulen Männern, denn nur so konnte er überleben. Ich hingegen suchte mir eher biedere Hotels mit Einzelzimmern, möglichst ohne Wanzen. In Herat bezog ich aber mit Fuzzy gemeinsam ein herrlich verspieltes, großes Zimmer. Der Hotelier nannte sich Sunny und war so coll wie die Tapete in seinem Salon, die aus Seiten einer einige Monate alten, deutschen Illustrierten bestand, mit vielen bunten Bildern der Beatles. Außerdem hatte ihm jemand einen Taperecorder angedreht, der furchtbar eierte, was Sunny aber gar nicht wusste, denn er verstand noch gar nichts von RockanRoll. Wir mussten ihn immer wieder anflehen, den Krach doch bitte abzustellen, auf den er so stolz war.
An diesem Nachmittag ging ich aus, um mehr über Herat und seine Einwohner zu erfahren. Fuzzy bastelte einmal mehr an einer „Limonade“, indem er echte Limonen, Zucker und Wasser mischte. Damit konnte er sich stundenlang beschäftigen.
Ich spazierte durch Herat. Da war eine Teestube mit weitem Blick über eine breite und lange Seitenstraße. Wohl gemerkt, Autos gab es keine, nur ein paar Mopeds und viele Esel und Maultiere, ab und zu ein Bus oder ein LKW. Es fühlte sich nach Western aber gleichzeitig auch nach Tausendundeinenacht an. Da gab es eine lehmige, dreckige Straße, eine Temparatur von trockenen mindestens 50 Grad, und dann auf Kniehöhe ein Gangway aus Holz und Lehm und „innen drin“ dann Lehmpodeste mit Teppichen darauf, auf denen wir hockten. Da stand ein fünf Liter großer Samowar. Der Wirt war sehr ruhig, stolz und einladend mit großem Turban, so wie ihn die meisten Afghanis trugen, sehr viel Tuch viele Male luftig um den Kopf gedreht aber so, dass ein langer Streifen übrig blieb und lässig nach unten hing. Ich ließ mich nieder. Genau richtig um die Leute und ihr Leben in Ruhe zu studieren. Auf der anderen Straßenseite gab es eine offene Schmiede, oder besser gesagt, da stand ein Schmied mit seinem Handwerkszeug unter einer Bedachung und reparierte Haushaltsgegenstände aus Metall. Nicht viel weiter flocht jemand Körbe, es wurde genäht und geschustert. An einem zwei Meter hohen Rahmen wurde eine Decke gewebt. Vielleicht gab es auch eine Küche und einen Bäcker, denn die gab es eigentlich überall. Frauen waren weit und breit keine zu sehen. Alles hier war Männersache. Ich bekam einen grünen Tee in dem typisch chinesichen, mehrfach geflickten Kännchen. Dann bereitete der Wirt kunstvoll eine große Wasserpfeife vor. Ich hatte mir das Haschischrauchen schon vor Monaten abgewöhnt – ein Pilger kifft nicht – aber hier gehörte es einfach dazu. Wir rauchten und auch ich rauchte fachmännisch mit. Dann griff der Wirt nach seiner Sass, einem Saiteninstrument mit vier Saiten und einem langen dünnen Hals, und sein Laufbursche, ein Knabe von zehn Jahren, griff eilig nach den Tablas, in der Hoffnung, der Chef habe nichts dagegen. Diese Tablas bestanden aus zwei verschieden großen Tontöpfen, die mit Fellen bespannt waren. Der Kleine verstand seine Töpfe überhaupt nicht als Rhythmusinstrument, etwa um einen Teppich zu legen, auf dem dann die Anderen Solis zupfen konnte, nein im Gegenteil, der Rhythmus kam von der Sass, und der Knirps folgte geschickt und leidenschaftlich den Melodien des Wirtes und der Straße. Denn sehr bald hatte man das Gefühl, alle auf der Straße spielten mit: der Schmied, die anderen Handwerker, ja sogar der Esel hinten an der Ecke war in Tune, wie ein symphonisches Konzert, an dem wir alle beteiligt waren, selbstbewusst, breit und zufrieden. Es passierte Kultur!
Am Spätnachmittag bewegte ich mich zurück ins Hotel. Ich schwebte fast, so stoned war ich. Ich wollte mich auf mein Bett in unserem romantischen Zimmer legen, träumen und glücklich sein. Ich floh durch die Hotelhalle auf unsere Tür zu, öffnete — und erschrak, — gefror! Da saß Jacqueline, eine Französin auf meinem Bett. Sie hatte sich Zöpfe geflochten, und ihre großen braunen Augen sahen mich warm und herausfordernd an. — Puh! — Sie trug ein grünes, schickes Oberteil, und ich glaube einen Rock und vielleicht sogar Söckchen. Irgendwie witzig und charmant.
Was jetzt kommt, wird mir der hochverehrte Leser wahrscheinlich nicht abnehmen, aber genau so war es! Sie sagte wörtlich: „Fuzzy und dein Gepäck habe ich in den großen Schlafraum nebenan bringen lassen“, und ohne lange Pause weiter:“Du kannst aber mit deinem Gepäck wieder zu mir ziehen, wennn du willst. Was zu rauchen habe ich auch!“. Ich war baff. Ein langes, dürres, verkifftes Etwas rang nach Luft. Es dauerte eine Ewigkeit bis eine sehr fremde Stimme aus mir heraus sagte: :“Bitte entschuldige, aber da muss ich erst einmal drüber nachdenken“. Ich drehte mich um und ging rüber. Im Gruppenschlafsaal gab es mindestens acht Betten. Auf einem saß grinsend Fuzzy und auf dem gegenüber lagen meine Sachen. Ich setzte mich einfach sprachlos hin. Was sollte ich nur machen. Ein: „Da muss ich drüber nachdenken“ zu einer temperamentvollen, leidenschaftlichen Französin, das war doch schon fast lebensgefährlich. Aber die Geschichte ging noch weiter. Jacqueline legte nach. Etwa zehn Minuten später kam sie in unser Zimmer und stellte sich keck und süß lächelnd vor mich hin. Mir zitterten die Knie. „Hier habe ich etwas Opium für dich. Ein Geschenk. Egal wie du dich entscheidest.“ Ich japste „Danke“, mehr brachte ich nicht raus. Und sie ging wieder. Fuzzy amüsierte sich zunehmend und ergötzte sich an meiner Verzweiflung. Er war mindestens zehn Jahre älter als ich!
Nun, liebe Leute, ich will euch nicht länger auf die Folter spannen: nach einer halben Stunden ging ich rüber zu ihr, klopfte an die Tür, trat ein und sagte, so nett ich nur konnte:“Ich werde drüben mit Fuzzy und den Anderen wohnen bleiben“. Die Welt vergaß für einen Moment zu atmen. Wenn ich mich recht erinnere, machte sie einen Buckel, wie eine Katze, ich sah Krallen, und sie fauchte und ich schaute auf ein paar scharfe Zähne.
Zwei oder drei Tage später zog sie dann zu Sunny oben aufs Dach und wir bekamen unser Zimmer zurück.
Ich war von diesem Tag an nur noch Luft für sie.
Ciao ciao
Winni Quijote