Guten Morgen liebe Leute!
Ich war gerade in Varanasi angekommen. Schon im Zug hatte ich mich elend und schlapp gefühlt und als ich den Zug dann verließ, bat ich gegen meine Gewohnheiten einen Träger mir meine beiden Taschen abzunehmen. Der wurde schon sehr bald ungeduldig, weil ich so langsam ging, und das im Indien der Siebziger, wo sich aus europäischer Sicht alle sowieso wie Schnecken bewegten. Wenn man wochenlang alleine unterwegs ist, dann fehlt manchmal einfach das Feedback, und so merkte ich gar nicht, dass ich sehr krank sein musste. Erst als ich auf dem Klo dunkelbraun pisste, da wusste ich Bescheid: Gelbsucht! Alle Indienreiser und so auch ich nahmen damals täglich eine Liver-fiftytwo, ein Medikament zur Stärkung der Leber. Ich war also nicht wirklich überrascht, als es mich schließlich erwischt hatte. Und ich wusste, dass mit dieser Krankheit nicht zu spaßen war. Ich wollte nicht schwer krank alleine in einer fremden Stadt bleiben. Ich brauchte Hilfe. In Dehli kannte ich mich damals gut aus, denn da hatte ich schon viele Wochen verbracht und so kaufte ich mir ein Zugticket zurück nach New Dehli. Dort eilte ich, so schnell es ging in die Häuserkolonie, in der die Jesus Freaks ihr Lager aufgeschlagen hatten. Eine holländische Freundin hatte mir von ihnen erzählt, und dass sie hilfsbereit und ehrlich seien.
Ich wurde auch sofort mit offenen Armen empfangen. Das Team bestand aus circa fünfzehn Frauen und Männer, Amerikaner, Australier, Briten und dann gab es ein paar Gäste, außer mir zum Beispiel ein französisches Hippypaar die sehr bald ein Baby bekommen würden und Hilfe brauchten. Der Chef und Prediger der Gruppe, David, war Amerikaner aber in Deutschland zum Missionar ausgebildet worden. Er mochte Deutsche, sprach aber kaum ein Wort Deutsch, und musste also auf Englisch unterrichtet worden sein?!
Ich kam sofort in Quarantäne, bekam also ein eigenes Zimmer, und jeder der ein- oder ausging musste sich in einem Eimer mit Desinfektionsmittel die Hände waschen, und niemand sollte mich anfassen.
Ich wusste, dass das zwei Wochen dauern konnte und gedachte die Gelegenheit zu nutzen, um die Bibel einmal von Anfang bis Ende durch zu lesen, so wie ich es übrigens im Moment gerade auch mit dem Koran mache. Wenn ich mich richtig erinnere war in der Jesus-Freak-Bibel kein altes Testament enthalten, aber dafür krabbelten links und rechts auf machen Seiten witzige Comicfiguren herum und gaben Kommentare: „Jesus loves you!“ und Ähnliches.
Jeden Tag besuchte mich ein anderes Mitglieder dieser verschworenen Gemeinschaft und blieb ziemlich genau für eine Stunde. Ich bin sicher, dass unsere Gespräche dann später bei den täglichen Lagebesprechungen diskutiert wurden. Ich erfuhr meinerseits in diesen Stunden auch viel über die Jesus Freaks und ihr Selbstverständnis, und darüber hinaus auch wer wen heiraten wollte et cetera, et cetera. Oberflächlich betrachtet ging es locker und harmonisch zu, aber unter den Decken brodelte und kochte es. Es gab Regeln, die streng befolgt wurden, und eine klare Hierarchie, aber darüber hinaus unzählige Geheimnisse und verhärtete Tabus! David wohnte im Zimmer neben mir und die Wände waren dünn. Seine Frau verbrachte aber immer nur das Wochenende mit ihm, die andere Zeit wohnte auch sie im Frauentrakt. So war es also meistens sehr ruhig nebenan.
Ich lebte mich ein. Ich gab den Leuten Geld mit und sie kauften eine Thermoskanne und versuchten mir frische Milch zu besorgen. Ich war wirklich sehr dankbar, und die Leute schlossen mich auch in ihre Herzen ein, insbesondere nachdem sie mitbekamen, dass ich täglich aufmerksam und kritisch in ihrer Bibel las.
Eines Tages nun kam hoher Besuch aus Deutschland. Ein deutscher Theologie-Professor. Es schien mir, dass diese Jesus Freaks teilweise von Deutschland aus finanziert wurden, vielleicht sogar von Spendengeldern der evangelischen Kirche, oder eher noch einer fanatischeren Einrichtung wie der Stadtmission? Ich hatte das Gefühl, dieser Besucher brachte Geld, und wollte dabei auch einmal nach dem Rechten schauen. Er blieb nur einen Tag, erwies mir aber die Ehre eines Besuchs. Er wusch sich beim Eintreten feierlich die Hände und kam dann rüber zu mir. David buckelte verbindlich lächelnd hinter ihm her. Der Professor war väterlich und freundlich. Auch wenn ich mich schon lange nicht mehr als Jugendlicher fühlte, war ich doch erst zweiundzwanzig Jahre alt, und für ihn wohl noch ein Kind. Er erkundigte sich nach meinen Eltern und was ich so vor hatte und ob ich denn auch einmal wieder nach Deutschland zurück wolle. Ich bejahte, wenn das Geld ausgehe, dann würde ich wohl wieder zurück nach Deutschland reisen, und aus einer augenblicklichen Laune heraus erklärte ich weiter, dass ich mir vorstellen könne, dann ein Theologie Studium zu beginnen. Er war verblüfft und wie es schien erfreut. Sein Blick schweifte in die Ferne: deutsche Universität… Theologie…. er wurde abwesend und allmählich verdunkelte sich sein Blick. Es war still und wir versanken für einen Moment alle in den mittäglichen Lichtspieglungen. Niemand hatte etwas gesagt, aber jetzt war er wieder da und begann zu reden, und er schwoll an und wurde mit jedem Wort zorniger:“Schreiben sie sich auf keinen Fall bei diesem Dr. Schneider, oder gar diesem ungeheuerlichen Dr. Wisslinger (die Namen sind erfunden) ein! Die sind eine Zumutung! Das sind Scharlatane, die Nichts, aber auch Garnichts verstanden haben“!??? Wohl gemerkt: Ich hatte wirklich nur laut darüber nachgedacht, möglicherweise Theologie zu studieren, weiter nichts. Der Professor aber konnte sich nicht mehr bremsen und schimpfte weiter und immer hässlicher über mir völlig fremde Dinge und Zusammenhänge. Ich verstand nicht worüber er sich aufregte, aber die Aggressionen waren gewaltig. David, der immer noch neben ihm stand, klopfte ihm leicht auf die Schulter und versuchte ihn vorsichtig und respektvoll aufzuwecken und zu besänftigen. Aber es dauerte noch eine ganze Weile bis er schließlich merkte wo er war und erkannte was passiert war. Es war ihm sichtlich peinlich, völlig grundlos laut geworden zu sein, aber daran war natürlich nichts mehr zu ändern. Er erkannte meine Verwirrung, vielleicht stand sogar mein Mund offen, es war aber nicht mehr viel zu retten. Ein Witz über sich selbst wäre gut gewesen, aber darauf kam er nicht. Eilig und verkrampft, rudernd und sich windend verließ er mich. Es gelang ihm nicht mehr, Gesicht zurück zu gewinnen. Über die Schulter versprach er, meine Eltern anzurufen, was mir überhaupt nicht passte, was er dann aber später wirklich tat.
Als er weg war machte ich den Mund wieder zu, schüttelte mich einen Moment und musste lachen. Meine ausgelassenen Las (“ Schutzengel“) hatten wohl wieder einmal zugeschlagen und jemanden verhext und völlig aus der Fassung gebracht. Die sind einfach manchmal übermütig und außer Rand und Band. Ich kann da eigentlich gar nichts dran machen und außerdem glaube ich, dass sie es wirklich zu meinem Schutz tun, aber damals warf ich ihnen einen strengen Blick zu und sagte wahrscheinlich grinsend und mit erhobenem Zeigefinger: „Jetzt reicht es aber!“ und „In die Ecke Besen, Besen, seids gewesen…….
Ciao ciao
Euer Winni Quijote