Heidnische Bräuche

Guten Morgen liebe Leute

Jeden Morgen lasse ich für meine pflegebedürftige Mutter (95) die Sonne über dem Mond aufgehen, wenn ich die Mini-Aspirin Tablette aus dem mondförmigen Holzdöschen nehme. Manchmal hebe ich Döschen und Pille feierlich hoch und verweile genau dann, wenn die Sonne harmonisch über dem Mond steht, also genau in der magischen Position die auch die Geistlichen in der katholischen Kirche wählen mit der Hostie über dem Kelch. Ich halte inne. Lasse Zauber zu. Der heilige Geist bekommt seinen Einsatz. Einen Knicks verkneife ich mir, obwohl es mir jedes Mal in den Knien juckt. Mutter öffnet dann den Mund, kann sich der Feierlichkeit des Momentes auch nur schwer erwehren, fragt sich aber vermutlich schon, ob meine Gesten wohl ehrlich oder zynisch gemeint sind. Und dann lege ich die strahlend weiße Aspirin in Mutters geöffneten Mund, eine saure Tablette statt Sauerteig Hostie, und sie spült dann mit Quellwasser nach. Vielleicht kann ich sie irgendwann einmal zu Wein überreden? So! ………Ich schließe dann langsam und in tiefer Andacht das Döschen und wende mich leicht erschöpft ab, für einen winzigen Moment ein mächtiges Holzkreuz auf meinen Schultern spürend. Dann wende ich mich wieder dem Haushalt zu. Als Nächstes kommt jetzt der erste Tee des Tages dran und ich singe spontan einen Pflegerblues. Nicht schön aber voller Überraschungen, auch für mich, den Sänger selbst.
Wenn ich Christ wäre, ginge ich ganz sicher morgens früh um sechs zum Altweiber-Gottesdienst. Schade! Jemand hat mir erzählt, dass in Marburg beim katholischen Frühgottesdienst sowieso, wenn überhaupt Buddhisten oder Ex-Buddhisten sitzen. Betende alte Weiber gibt es wohl in den Kirchen gar nicht mehr. Hoffentlich liege ich da falsch.
Ciao ciao
Winni Quijote

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Winfried Kopps

Winfried Kopps wurde 1951 im Rheinland geboren. Er kam schon sehr früh mit existentialistischer Literatur in Berührung. Die ersten Autoren waren Frisch, Eich, Huysmans, Nietzsche, Sartre und Camus, aber insbesondere wurde er von Hermann Hesse, Rudolf Steiner und LSD erzogen und beeinflußt. Mit 16 las er einen Text über Buddhismus und fühlte sich sofort tief verbunden. Mit 20 verdingte er sich als Fabrikarbeiter und verdiente genug Geld um eine 15-monatige Pilgerreise, Morgenlandfahrt, nach Asien finanzieren zu können. Darauf folgte eine zweijährige Einsiedelei in Spanien. In New Dehli las er die ersten Zeilen von Chögyam Trungpa Rinpoche und erkannte in ihm seinen Guru. Neben dem Studium und der Praxis des Buddhismus und der Shambhala Lehren unter der Leitung von Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche, erforscht er weiterhin begeistert viele verschieden religiöse Traditionen. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen und verdient sein Geld als Unternehmensberater.