Zuversicht und die Ausgelassenheit des Schneelöwen

Zuversicht und die Fröhlichkeit des Schneelöwen

Hey ho, ihr lieben Yoginis und Yogis von Shambhala! Ich bin so stolz darauf, zu dieser Familie mutiger und offener Kriegerinnen und Krieger zu gehören, in der wir uns – begleitend zur Meditation natürlich – tagein tagaus mit der Entdeckung von Zuversicht und Fröhlichkeit beschäftigen. Zusätzlich werde ich augenblicklich zu Anfang eines jeden Briefes und jeder Ankündigung von Shambhala immer erst einmal an die Offenheit des empfindsamen Herzens der Traurigkeit erinnert, der Grundlage von Allem. Danke Leute! Das macht Sinn!

Und unerhört – die Qualität Garudas! Da können wir in diesen Tagen auch besonders gut mit arbeiten. Überhaupt, alle diese Qualitäten der vier Würden von Tiger, Löwe, Garuda und Drachen können wir jetzt ja wie Wellenbrecher einsetzen.

Es wundert mich also nicht, dass die aktuell hohen Wogen der Metoo-Bewegung glucksend und plantschend aufgeschäumt und genossen werden. Eine gute Gelegenheit, einmal die Fenster aufzureißen, auszumisten und aufzuräumen. Okay, manch eine Shambhala-Kriegerin oder ­­ Krieger geht auch mal für Momente unter und bekommt Luftnot, aber im Großen und Ganzen sind wir ja toll vorbereitet. Mein Shambhala-Training dauert schon fast vierzig Jahre an! Puh! Endlich können wir unsere Künste einmal auch oberflächlicher und in aufregenderen Zeiten anwenden. Da werden Wissen und Weisheit von Shambhala irgendwie konkreter und greifbarer. Toll Leute! Das ist wieder eine große Chance für uns, so wie viele Konkurse und Skandale in Shambhala vorher.

Okay, Krieger mit etwas weniger Weite, (das ist ja eigentlich schon ein Widerspruch in sich) denken vielleicht, sie müssten irgendetwas verteidigen oder richtigstellen, als ob ein Guru perfekt sein sollte oder könnte? Solche Leute gibt es, und es liegt ja auch in unserer Natur, das was wir lieben, erst einmal zu verteidigen. Wenn sich dann aber die klare Sicht durchsetzt, folgt die Traurigkeit, und das ist ja im Grunde dann Gebet pur und kann auch nur gut werden. Und an die, die jetzt doch etwas verhuscht in den Ecken hocken oder denken, sie müssten die Shambhala-Welt retten oder sogar ihr den Rücken zuwenden: Richtet euch zuversichtlich auf, auch körperlich aufrecht, edel und schön. Auf diese einzigartige Shambhala-Tradition können wir sehr stolz sein. Aber das ist ja auch kein Wunder und allgemein bekannt: Pioniere haben immer eine ganz besondere Power. Und wir sind diese Pioniere und wir haben diese Kraft.

Offensichtlich setzten wir uns hier alle gerade im ganz großen Stil mit Tabus und Ängsten auseinander. Aber darum geht es doch auch schließlich schon unser ganzes Leben lang. Oder?

Klar, die Lehren von den Hormonen und die Pille, und andererseits die Möglichkeit minütlich wo wir gehen und stehen die tollsten Pornos ansehen zu können, das hat die Welt drastisch verändert, aber anders als bei Kriegen oder Presidentschaften geschieht das unterschwellig fast unmerklich, was aber leider auch dazu führt, dass keine umfangreiche gesellschaftliche Diskussion stattfindet. Also: Alles verändert sich im Kampf der Geschlechter, aber es ist schwer auszumachen warum und wohin die Reise geht.

So sehr wir auch im Hier und Jetzt der westlichen Gesellschaften leben, so ist die Shambhala-Welt doch sehr von Charme, Weisheit und Zauber der tibetischen Kultur mitgeprägt. Zum Beispiel die Schutzgottheiten von Shambhala, z.B. Ganapati oder Ekajati sind zwar zum Teil indischen Ursprungs, wurden aber jahrhundertelang nur in Tibet gepflegt und verehrt. Nur dort wurde ihnen geopfert und dort wurden sie bildlich fixiert undsoweiter. Und natürlich haben wir sowieso viele rein tibetische Schützer und Helfer.

Ich habe als zweiundzwanzigjähriger Jugendlicher mit Tibetern in Indien gelebt und habe damals die Wildheit und Ausgelassenheit vieler Mönche und Laien über alles geliebt. Es hatte zwar den Westler in mir immer wieder überrascht und schockiert – zum Beispiel die unverhohlene Schadenfreude? – war aber andererseits so frisch und lustig, dass ich es auch bewundern musste – das war so echt – und ich war ja nicht Buddhist geworden um alte verschlafene Werte und Tabus zu pflegen und angepasst zu sein, Ich war viel eher auf der Suche nach Abenteuer, fremden Welten und vor Allem Religiösität.

Für viele Tibeter gab es damals noch keine indischen oder westlichen Tabus, davon ahnten die noch gar nichts, die lebten noch nach ihren ganz eigenen tibetischen Regeln, Vorstellungen und Tabus. Die westlichen Vorstellungswelten waren für die völlig unsichtbar. Irgendjemand hatte meinen Freunden – jungen Tibetern zwischen 25 und 30 – erzählt, dass es in Europa Strände gäbe an denen alle Männer und Frauen völlig nackig herumlaufen würden. Immer wieder wurde ich gefragt, ob das stimmt und ich sagte dann: „Ja Leute, das nennt man FKK und gilt als besonders bieder und langweilig, eher etwas für ältere Leute.“ Aber die tibetischen Jungs haben mir das trotzdem nicht geglaubt. Das war für die unvorstellbar. Andererseits aber waren die gar nicht prüde. Das ging ja auch gar nicht, da wo es keine Bäder oder Klos gab und sich das Leben um ein paar Wasserhähne im Freien abspielte, aus denen ab und zu etwas Wasser tropfte. Manchmal auch stundenlang nicht.

Frisch geflohene Tibeter sollten damals nicht alle in Nordindien bleiben, sondern über ganz Indien verteilt werden. So sah das die damalige Indische Regierung, und deshalb wurden in Südindien diese Settlements für die Tibeter errichtet und ganze Familien zwangsumgesiedelt. Inzwischen sind aus diesen Camps mit damals noch etwa 6.000 Bewohnern heute richtige kleine Städte geworden. In zweien dieser Settlements lebte ich – als einziger Europäer. Ich verweilte da unter anderem, weil ich wusste, dass früher oder später der Dalai Lama vorbeikommen würde und auch weil ich mich willkommen fühlte.

Ab und zu kamen aus den Norden Neue! Leute die gerade aus Tibet geflohen waren.

Eines Tages kam wieder so ein Flüchtling frisch aus Tibet. Und der war so wild und frech und unangepasst und bunt wie ein Schneelöwe, und so unerhört wie ein Garuda. Der sprang einfach in den Küchen der Kantinen herum – was total Tabu und verboten war – und naschte einfach aus Schabernack aus den großen Töpfen und machte Faxen. Er veräppelte die Köche und Köchinnen, klatschte denen auf den Po und griff ihnen an die Titten und sprang herum. Und gerade bei dieser Gelegenheit, in der er das Küchenpersonal aufmischte, da stand eine uralte Tibeterin neben mir, drehte ihre Gebetsmühle (wirklich wahr) und sie lächelte glücklich und weinte. Sie weinte richtige dicke Tränen und hatte diesen ganz weiten sehnsüchtigen Blick, und wir waren uns in diesem Moment sehr nah.

Dieser ausgelassene Wilde brachte ihr für Momente ihre tibetische Heimat zurück, die sie natürlich nie wiedersehen würde. Dieser Typ war wie Feuer und Blitz. Ein Narr, der Leben bringt und wachrüttelt und auch kaputt machte und Scherben verursachte.

Die Flüchtlinge, die schon länger dort im Süden Indiens lebten, waren sich stärker bewusst, dass sie nur Flüchtlinge waren, die von den Indern ja tatsächlich täglich unterstützt und versorgt wurden. Sie wussten, dass sie nur geduldet waren. Sie waren sich bewusst, dass ihre Alten Fleisch aßen mitten im vegetarischen Südindien undsoweiter. Deren Selbstbewusstsein war schon wirklich etwas am Boden. Aber dieser tibetische Narr hier, der erinnerte wenigstens die Alten an lebendigere Zeiten.

Szenenwechsel: München, Oktoberfest. Mit einem berühmten tibetischen Thangkamaler war ich vor einigen Jahren mal da. Also mir war das wirklich zu roh und ungestüm, wie der sich benahm. Aber die Kellnerinnen schienen es wirklich zu mögen, obwohl sie mit Sicherheit einige blaue Flecken davongetragen haben. Vielleicht haben sie natürlich auch nur so getan, als ob sie es mögen?

Bei der Lektüre von „Roter Mohn“ von Alai, das Buch hatte Robert mir geschenkt, wurde ich auch wieder an diese wilde Natur der Tibeter erinnert – und auch abgeschreckt. Puh! Das ist eine heftige Erzählung und sehr surreal, aber da ist auch viel Wahres dran.

Doch im Zuge der Globalisierung wird uns wohl immer bewusster, wie unglaublich verschieden die Menschen an verschiedenen Orten der Erde sind.

Und beim Lesen von „Ich bin eure Stimme“ von Nadia Murad heule ich an den harmlosesten Stellen. Da wo alle ihre Brüder umgebracht werden undsoweiter, da bin ich noch gar nicht! Und trotzdem muss ich weinen. Es gibt wirklich riesige Unterschiede schon alleine auf diesem Planeten. Und wenn man dann liest, wie unnötig sich die Menschen das Leben aufgrund von Tradition, Rassismus oder einfach auch Gier, schwer machen, tut das einfach weh.

Aber daran können wir arbeiten. Das können wir für unsere Kinder tun.

Danke Leute und natürlich ein ganz besonderes Danke an die Shambhala-Kriegerinnen und  Krieger. Die jammern nicht. Die verstecken sich nicht. Sondern die packen die Probleme an!

Offen und klar, fröhlich, frech und zuversichtlich.

Grüße und Segenswünsche euer Winfried Quijote

Veröffentlicht von

Winfried Kopps

Winfried Kopps wurde 1951 im Rheinland geboren. Er kam schon sehr früh mit existentialistischer Literatur in Berührung. Die ersten Autoren waren Frisch, Eich, Huysmans, Nietzsche, Sartre und Camus, aber insbesondere wurde er von Hermann Hesse, Rudolf Steiner und LSD erzogen und beeinflußt. Mit 16 las er einen Text über Buddhismus und fühlte sich sofort tief verbunden. Mit 20 verdingte er sich als Fabrikarbeiter und verdiente genug Geld um eine 15-monatige Pilgerreise, Morgenlandfahrt, nach Asien finanzieren zu können. Darauf folgte eine zweijährige Einsiedelei in Spanien. In New Dehli las er die ersten Zeilen von Chögyam Trungpa Rinpoche und erkannte in ihm seinen Guru. Neben dem Studium und der Praxis des Buddhismus und der Shambhala Lehren unter der Leitung von Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche, erforscht er weiterhin begeistert viele verschieden religiöse Traditionen. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen und verdient sein Geld als Unternehmensberater.