KARMA IV

Das Gesetz von Ursache und Wirkung (Karma) gibt es natürlich nur, weil es Wörter und Begriffe gibt. Wörter und Begriffe geben Phänomenen (Dharmas) Namen und erst damit existieren sie und werden begreifbar, erkennbar und konkret. „Am Anfang war das Wort…..“ (Bibel). Man sollte das Wechselspiel zwischen Phänomen und Namen gut verstehen und nie aus dem Auge verlieren, denn ohne das kommt man an das Phänomen Karma nicht wirklich ran.

Hier eines von unendlich vielen Beispielen: Die Entdeckung des Atoms, mit all´ seinen unter Anderem ja auch explosiven Seiten. Und das ging so: Forscher haben also immer weiter nach dem Kleinsten im Kleinsten gesucht und dabei – durch die Suche mit ständig verfeinerten Forschungsmethoden und -geräten und Schlussfolgerungen das Atom entdeckt und man könnte sogar sagen sie haben es auf diese Weise selber erschaffen. Hätten sie Nichts gesucht, hätten sie Nichts gefunden. Das Vorgehen ist dabei immer dasselbe: Man entdeckt etwas und gibt ihm einen Namen. Möglichst jedem kleinsten Detail gibt man einen eigenen Namen, so dass man alle Einzelteile  gut auseinander halten kann. Oder man gibt einer Idee einen Namen und versucht sie so in eine Form beziehungsweise Formell zu gießen. Im klassischen Buddhismus nennt man das „Geist-Form“ (skr, namo-rupa). Dann entdeckt man noch etwas Weiteres und gibt ihr einen weiteren, anderen Namen. Nach einer Weile vergessen die Forscher dann, dass sie selber die Namen erfunden hatten, und für sie existiert von da an ein Atom ganz konkret, ein Atom – ja eigentlich nur ein Wort, ist zu etwas Konkretem geworden, und nicht etwa nur der Name für eine gewisse Regelmäßigkeit oder für ein bestimmtes Messergebnis und gewisse Schlussfolgerungen. Spätestens als dann die erste Atombombe in der Wüste von Nevada explodierte, da war ein Atom dann endgültig eine Wirklichkeit, und existierte über alle Zweifel erhaben. Atomkern, Neutronen und Spannungfeld etc. etc. waren damit auch bewiesen und damit ebenfalls existent. Das war nun für die Wissenschaftler eine Lust neuen Messgeräten und Messergebnissen neue Namen zu geben und tiefer in die Erforschung dessen, was sie einst Atom genannt hatten vorzudringen, und sie wurden dafür großzügig von allen Staatshaushalten der Welt unterstützt, Ketten von sinnvollen Schlussfolgerungen anzulegen und damit zu spielen. Es war eine spannende Entdeckungsreise! Zwei Generationen später war die Existenz des Atoms dann so millionenfach belegt und unbezweifelt, dass eine neue Generation Wissenschaftler und besonders WissenschaftsPhilosophen es sich leisten konnten, Zweifel zu wecken, und darauf hin zu weisen, dass es im System des Standes der Forschung Unregelmäßigkeiten gäbe, Blinde Flecken? Zum Beispiel Licht folgte nicht immer den physikalischen Regeln, wenn man genau beziehungsweise „unscharf“ hinschaut? Wenn also vorher ein Wissenschaftler irgendwo noch gesagt hatte, da gibt es unerklärliche Unregelmäßigkeiten, dann bekam er einfach zur Antwort: Du musst deine Linsen besser putzen und deine Kabel besser isolieren und deine Dunkelkammern besser verdunkeln! Aber nach zwei Generationen tritt dann oft eine gewisse Coolness ein und es wird möglich Gelder frei zu machen und Forschungsaufträge dafür zu bekommen, auch nur scheinbare Unregelmäßigkeiten doch auch einmal weiter zu erforschen, auch auf die Gefahr hin, dass es sie gar nicht gibt und es sich auch nicht lohnt. (Das ist so, wie es nach zwei Generationen in denen Haschisch in die Gesellschaft hineingewachsen ist, es jetzt möglich wird über eine Legalisierung nachzudenken? Das braucht eben Alles seine Zeit.) Zurück zu den Unregelmäßigkeiten beim Licht: So kamen wir dann also zur Entdeckung der Quanten – schnell hatte man einen neuen Namen gefunden: Quanten. Jetzt tun sich in der Quantenphysik neue Universen auf und was in die aktuellen Erklärungen dieser noch jungen Quantenphysik nicht hinein passt, das wird erst einmal bei Seite getan:“Überprüfe erst einmal deine Messgeräte und Folgerungen und Logik!“ In achtzig Jahren wird es dann wieder genug Raum geben, Unregelmäßigkeiten in den Erklärungen der Quantenphysik weiter zu erforschen, sich für noch wieder ganz andere Universen, die sich möglicherweise gegenseitig durchdringen, weiter zu öffnen und weitere neue Überraschungen zu zu lassen. Leider beschwört die Wissenschaft dieses Öffnen immer gleichzeitig  so schnell wie nur möglich zu fixieren: Schnell Namen geben und Formen festlegen (namo-rupa). Stabilisieren. Begreifen wollen. Festnageln. Das ist die Macht der Angst vor offener Weite und Unbegreiflichkeit, manchmal ist es allerdings auch einfach nur Gier. Sich auf Unbegreifbar ein zu lassen ist gar nicht so einfach. Dazu muss man erst einmal ganz lässig werden, man muss unter Anderem sein Streben nach Ergebnis oder Erfolg loslassen, man muss jedes Streben und jeden Ehrgeiz loslassen und dafür stattdessen einfach zulassen. Das fällt sehr schwer. Bis man soweit ist, das braucht meistens sehr viel Training, Nachdenken und Meditationen, so verrückt und widersprüchlich das auch klingen mag.

Dieses Spiel von Phänomen (Dharmas) und Namen solltest du begreifen. Das mit den Atomen, den Quanten und der Wissenschaft ist nur eines der unendlich vielen möglichen Beispiele für das Spiel von Phänomenen und Namen. Ich habe dieses Beispiel einfach willkürlich ausgewählt. Wenn du nur ein solches Beispiel in einer Meditation verinnerlichst, dann wird sehr schnell Alles um dich herum leer und weiter. Das sind dann deine ersten Schritte zur Erkenntnis von Leerheit (shunyata) das nicht nur im Buddhismus sondern zum Beispiel auch im Hinduismus (bei Patanjali) so wichtig geworden war.

Bei diesem Karma IV Text geht es im Grunde um eben diese Leerheit (shunyata).

Übrigens gibt es mit dem Begriff Dharmas – Sanskrit für Phänomene- ein Problem: In der Mehrzahl bezeichnet der Begriff – der Name – Dharmas alle Phänomene. Also jedes Phänomen z.B. Sonne, Stuhl, blau, Verliebtheit, Schönheit, Eitelkeit, Rasierer, Titten, Meditation, schön, Zehnnagel, Hass, Ohrwurm, anziehen etc. etc. alles was einen Namen hat ist ein Phänomen und zählt zu den Dharmas. Aber in der Einzahl: Dharma, bezeichnet man mit diesem Wort „Die Lehre zur Befreiung“, also die Lehren Buddhas oder allgemeiner Philosophie. Das ist sehr witzig, wenn du einmal bedenkst, dass das Wort für das was uns gefangen hält oder zumindest einengt: Dharmas, in der Einzahl der Dharma (das eine wichtigste Phänomen) bezeichnet, das uns von dieser Gefangenschaft befreien könnte. Natürlich ist auch der Weg zur Befreiung selber nur eine Vorstellung die einen Namen bekommen hat. Wie auch immer aufgepasst: Dharmas und Dharma! Mehrzahl oder Einzahl!

Witzig ist, was der Buddha vor 2.600 Jahren aus dieser Erkenntnis gemacht hat: Er hat die Dharmas erst einmal in aller Ruhe sortiert! Ganz nach dem Motto: „Wir können das Spiel nur verstehen und beherrschen, wenn wir die einzelnen Schachfiguren und ihre Eigenschaften ganz genau untersuchen, kennenlernen und verinnerlichen.“ – Bemerkenswert und wichtig ist dabei vielleicht, dass der Buddha Ursächliches nie in Materie gesucht hat, er ist also nicht vom Materiellem ausgegangen – so wie es heutzutage die Wissenschaftler meistens tun, und die Menschen in den Straßen sowieso. Mindestens 80 % der Jugendlichen glauben heutzutage zu wissen: „Meine Gedanken, Gefühle und mein Bewusstsein, das sind chemische Vorgänge in meinem Gehirn.“ So erklären zur Zeit vielleicht sogar 90 Prozent der Jugendlichen Bewusstsein. Also – nein – der Buddha ist bei seinen Betrachtungen nicht von der Materie ausgegangen sondern von Bewusstsein, von Ursache und Wirkung. Das, dessen wir uns nicht bewusst sind muss nicht selbstverständlich da sein? So wie wir uns in Träumen andererseits ja auch gerne vieler Umstände und Formen einfach nur bewusst sind?

Und hier sind wir dann zurück bei Karma, dem Gesetz von Ursache und Wirkung, denn der Buddha hat die Phänomene unter Anderem nach „heilsam“ „unheilsam“ und „neutral“ geordnet. Und nur als Hinweis: Gesondert aufgeführte Dharmas sind dabei natürlich die Stufen der Meditation. Man unterscheidet dann also  „was heilsames Karma verursacht und was nicht-heilsames Karma verursacht, was karmisch Neutral ist und was Meditation für eine Rolle spielt. Das sind wahrscheinlich die Zusammenhänge in denen man dem Wort Karma bisher ständig begegnet ist, denn heute sagt ja schon jede FernsehKomissarin ab und zu: „Das muss mein schlechtes Karma sein“. Etc. etc.

Die Reise der Erforschung von Karma geht noch viel viel viel weiter, aber das Spiel von Phänomen und Name ist ein wichtiger Baustein zum Verständnis davon.

Euer Winfried der Quijote

Veröffentlicht von

Winfried Kopps

Winfried Kopps wurde 1951 im Rheinland geboren. Er kam schon sehr früh mit existentialistischer Literatur in Berührung. Die ersten Autoren waren Frisch, Eich, Huysmans, Nietzsche, Sartre und Camus, aber insbesondere wurde er von Hermann Hesse, Rudolf Steiner und LSD erzogen und beeinflußt. Mit 16 las er einen Text über Buddhismus und fühlte sich sofort tief verbunden. Mit 20 verdingte er sich als Fabrikarbeiter und verdiente genug Geld um eine 15-monatige Pilgerreise, Morgenlandfahrt, nach Asien finanzieren zu können. Darauf folgte eine zweijährige Einsiedelei in Spanien. In New Dehli las er die ersten Zeilen von Chögyam Trungpa Rinpoche und erkannte in ihm seinen Guru. Neben dem Studium und der Praxis des Buddhismus und der Shambhala Lehren unter der Leitung von Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche, erforscht er weiterhin begeistert viele verschieden religiöse Traditionen. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen und verdient sein Geld als Unternehmensberater.