3. – Aga Hiob

Guten Morgen liebe Leute!

Eine weitere Szene aus Shambhala:

Zweimal die Woche gehe ich mit Käthe zu Aga Hiob. Er ist einer von Papis „Freunden“ und unterrichtet uns in europäischer Geschichte und Kultur. Herrn Hiobs Villa liegt gar nicht so weit entfernt von unserem königlichen Hofe, und wir können da also leicht zu Fuß hin spazieren. Und Obi Van begleitet uns, wenn wir nicht von einem der Hausmädchen oder einem Kasung – das sind die vielseitigen Polizisten des Reiches – hingebracht werden. Ich gehe am liebsten mit Obi Van, unserem grauen Schoko-Labrador. Er fühlt sich als der heimliche eigentliche Chef des Sicherheitsdienstes. Ich wollte einmal nur mit Käthe alleine gehen und da ist Obi Van völlig durchgedreht. Bis dahin hatte ich ihn noch nie so richtig kindisch hundig erlebt. Er rannte und tobte herum, jaulte und versuchte einen Pantoffel zu zerfetzen. Puh! Das war ein Theater!

Den führenden Kasungs war es nicht recht, wenn „nur“ Obi Van, „der blöde, eingebildete Hund“ uns begleitete, und es hatte aufgeregte Diskussionen darüber gegeben. Aber schließlich sprach Amala verärgert ein Machtwort und entschied ganz einfach, dass Obi Van als Begleitung für Käthe und mich für die paar Meter zu dem Anwesen von Aga Hiob völlig ausreichen würde. Ich lege ihm also jetzt immer feierlich ein Halsband um, und dann geht es los. Diese Spaziergänge sind einfach fantastisch! Wenn wir dann so über die Straßen gehen, hat Obi Van ganz sicher das Gefühl, dass er Käthe und mich an der Leine führt und nicht umgekehrt, denn er beschützt uns und sorgt dafür, dass uns nichts passiert.

Am meisten liebe ich auf diesen Spaziergängen durch die bunte Welt von Straßen, Gärten, vorbeifahrenden Autos und Fußgängern die ganz normalen Leute. Wir sind für gewöhnlich ja ständig von loyalen, buckelnden und besonders ehrgeizigen und eifrigen Shambhalianern umgeben, sie sind zwar meistens leicht und haben Weite, aber andereseits scheinen sie mir besonders verwirrt und neurotisch zu sein, insbesondere während dem Dienst am Hofe.

Es kommt wirklich nur ganz selten vor, dass wir normalen Menschen begegnen. Übrigens, auch deshalb freue ich mich schon riesig darauf, endlich in die Schule gehen zu dürfen. Nächstes Jahr ist es so weit. Das wird toll!

Wir genießen also diesen Weg zu Herrn Hiob, und es ist immer viel zu schnell vorbei. Wir würden zu gerne länger diese Menschen mit teilweise tief eingegrabenen Sorgefalten beobachten und ihnen zunicken und Mut machen. Da vorne hastet eine Frau geradezu vorwärts. Das kann man nicht mehr Gehen oder Laufen nennen, denn es ist so, als würden in ihr zwei Kräfte gegeneinander kämpfen: Die eine zieht sie wie ein unsichtbares starkes Gummiband nach hinten und die andere treibt energisch nach vorne, so dass der Körper weit vornübergebeugt ist, fast schon so sehr wie bei einer Eisschnellläuferin. Der Kopf ist immer schon einen Schritt voraus. Das ist lustig, wobei diese Frau gar nicht glücklich aussieht und schon erst recht nicht so, als würde sie Sport treiben. Warum ist sie nur so? Bei allen Menschen die mir auf der Straße begegnen, fallen mir Disharmonien als ungewöhnlich hart und besonders steif – verkrustet – auf. Das ist unglaublich interessant, erweckt aber auch unser Mitleid. Am liebsten würde ich bei jedem einzelnen stehen bleiben und nachfragen. Das aber würde Obi Van gar nicht witzig finden! Der würde ziehen und vielleicht sogar wütend bellen. Puh! Der konnte schon auch manchmal ganz schön nerven mit seinem Pflichtbewusstsein, mit seiner Sorgfalt und seiner Pünktlichkeit.

Heute trage ich meinen wunderschönen und sanften Glockenmantel. Einfach super! Okay, man könnte fragen, warum ich so gerne wie eine Gantha aussehe – wie eine Ritualglocke? –, aber das Material ist so leicht und fest zugleich und durch das Seidenfutter liegt er so anschmiegsam an und streichelt mich bei jeder Bewegung. Ich fühle mich elegant und mächtig in ihm und geborgen und sicher. Ich hätte für Käthe auch gerne so einen, aber bisher muss sie noch mit einem Anorak vorlieb nehmen, der jedoch auch ganz schick ist, mit einem kleinen Krokodil darauf.

Obi Van mit mir und Käthe an der Leine, das scheint den Leuten auf der Straße zu gefallen. Sie drehen sich nach uns um. Viele grüßen sogar: „Hallo!“ Oder: „Hallo kleine Prinzessin!“ Ohne Obi Van würden sie mich wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen, aber wir drei zusammen als Team und ich in meinem lodenfarbenen Glockenmantel – da bleiben manche Leute sogar stehen, um uns nach zu schauen, und zu tuscheln. Ich glaube, wir bringen ihnen Glück. Oh brächten wir ihnen doch Glück!

Ab und zu überkommt mich der starke Wunsch, jemandem einen Rat zu geben, denn manchen dieser Leute könnte leicht geholfen werden, bedeutend glücklicher zu sein. Das geht aber leider nicht, denn es ist zu außerordentlich, wenn ein kleines Mädchen einem sagt: „Dehnen und drehen Sie täglich eine viertel Stunde lang ihren Rücken, dann wird es Ihnen besser gehen,“ oder „Essen Sie nicht so viel, Sie machen sich das Leben damit schwer!“ Käthe ist so schüchtern, dass sie sowieso nicht auf die Idee käme, jemanden anzusprechen, aber wir beide reden oft miteinander darüber, wie dem einen oder anderen zu helfen wäre.

Was mich richtiggehend immer wieder aufs Neue betroffen macht ist, dass die Menschen da draußen ihre spirituellen Beschützer scheinbar gar nicht kennen und überhaupt nicht wahrnehmen. Warum ignorieren sie ihre besten und persönlichsten Vertrauten und Helfer? Fehlen ihnen Sinne?! Sagt man deshalb: „Sie sind von Sinnen?“ Diese Aussage verstehe ich nämlich auch nicht so richtig?

Es ist herrlich! Ich genieße diesen Weg zu meinen Lektionen bei Aga Hiob. Ich bin voller Vorfreude auf des Meisters spannende Erzählungen und beschleunige meinen Schritt.

Und dann schlendern wir wieder mehr und gehen langsamer soweit Obi Van es zuläßt, und wir schauen weiter genüßlich Leute an. Manchmal drehen wir uns sogar um, und wir tuscheln unsererseits, zum Beispiel wenn jemand allzu komische Kleider, Kopfbedeckungen oder Gangarten hat.

Und schon sind wir da und eilen durchs Gartentor, das offen steht. Wir springen über die unebenen, urigen Steinplatten – ein  Hinderniss für jeden, der sich dem Haus nähern will – und stehen direkt vor der dunklen, gewichtigen Eichentür. Ich drücke feste den goldenen kugelrunden Klingelknopf. Käthe kichert in Vorfreude, denn jetzt kommt der von Reventlow bestimmt gleich und macht uns auf. Sie nennt ihn ganz einfach: „Brille“, denn er kann nicht damit aufhören, an seiner Brille herum zu fuchteln. Der dünne, lange, Edelmann kann seine Brillen auch nicht für einen Moment in Ruhe lassen.

Und wirklich, die Tür geht auf, Obi Van, der etwas aus der Puste ist, macht sich für einen Moment besonders aufrecht und wichtig – er sieht dann immer wie ein edles Pferd aus –, und tatsächlich: vor uns steht Herr von Reventlow. Ein großer, bleicher und scheinbar sehr empfindsamer langer dünner Mann, mit wirren blonden Locken. Ständig in winzigen kleinen Bewegungen, so als würden kleine, für uns unsichtbare Sandkörnchen ihn an Gesicht und Hals treffen, so als stünde er in einem Sandsturm. Und natürlich, kaum hat er die Tür geöffnet, schiebt er sich auch schon mit einem Zeigefinger die Stahlbrille näher an die Augen und schaut uns an. „Oh, die kleine Drachenprinzessin, pünktlich wie immer“ – und dann nachdenklich – „und ihr wachsamer Aufpasser“. Er ist ohne Frage ein besonders aufrichtiger und netter Mann, aber eben auch komisch. Er leuchtet sogar ein wenig. Und hinter der unsicheren und verschrobenen Fassade verbirgt sich etwas sehr Starkes und Waches.

Er schaut uns an … und schaut uns weiter an … und viel Zeit vergeht, ohne dass er sich bewegt oder Anstalten machen würde, uns herein zu lassen? Vorsichtig und abwägend.

Das wird mir zu dumm! Ich bin hier die Prinzessin und er ist Herrn Hiobs Sekretär. Also zur Seite bitte! Ich nehme Käthe etwas enger und marschiere einfach an von Reventlow vorbei in die Lobby. Es hätte nämlich noch ewig dauern können, bis er sich dann schließlich bewegt und uns formell herein gebeten hätte. Ich kenne mich in der Villa inzwischen gut aus. Während von Reventlow noch die Türe schließt, habe ich mich schon meiner Schuhe entledigt. Mein Handtäschchen mit dem Portmonee landet in einer der Schalen am Treppenaufgang, in die die Gäste von Aga Hiob ihre Waffen ablegen müssen. Waffen sind in diesem Falle auch Portmonees, Handys, Schmuck, Puderdosen, Armbanduhren, Schlüssel und ähnliches. Oben bei Herrn Hiob soll es keine Waffen und auch keinerlei technische Instrumente geben. Da oben ist nicht einmal ein Rechner. Für die Geräte der Kommunikation gibt es in der Villa ein extra Zimmer: das „Ahrimanische“, was auch immer das genau bedeuten mag. Nachdem alle dieses Wort immer etwas verschmitzt benutzen, scheint es mir etwas scherzhaft gemeint zu sein? Das „Ahrimanische“ ist Maikes Reich und auch der von Reventlow geht da ein und aus.

Aber Käthe und ich, wir sind Gäste und wollen hoch, denn wir haben ja Unterricht, und da heißt es also erst einmal: Waffen ablegen.

Vor dem Regal mit mehreren großen flachen Tonschalen für die Waffen, ist eine Eichenholzbank für mindestens fünf Personen, und es wird eigentlich erwartet, dass man sich dort erst einmal niedersetzt und zwar schweigend, um zur Ruhe kommt.

Direkt hinter der Tür gibt es auch eine Garderobe, aber nicht für mich, ich spüre gar nicht, wie ich mich aus meiner Gantha herausschäle, nachdem ich sie aufgeknöpft habe und sie einfach fallen lasse. Und ich renne weiter, die ersten Stufen hoch, Käthe fest an mich gepresst.

Obi Van hat unten in der Lobby seinen Platz. Obi Van, den man eigentlich nur stehend kennt, lässt sich dort unten auf einer vornehmen immer sauberen, dunklen Baumwolldecke nieder. Ich glaube, diese Decke wird da extra immer wieder frisch für meinen Beschützer ausgebreitet. Sehr vornehm! Das mag er. Am Hofe habe ich ihn so bescheiden noch nie erlebt. Er scheint mir hier irgendwie entspannter.

Von Reventlow kann mich zwar nicht aufhalten, aber einige Regeln des Haushaltes sind mir doch vertraut: Ich renne nicht an der Wasserschale in Höhe der siebenten Stufe vorbei, ohne jeweils eine Hand über die Schale auf einem Abstelltisch zu halten und etwas Wasser aus dem Tonkrug darüber fließen zu lassen. Erst die eine dann die andere. Da liegt sogar ein kleines Gästehandtuch, aber ich reibe mir die Hände einfach an meinem Rock trocken, während ich weiter hoch eile. Ein paar Stufen höher steht ein Räuchergefäß aus dunklem Metall mit vier zierlichen, geschwungenen Beinchen in dem etwas Kohle glüht. Ich nehme ein paar Krümel Myrre von einem chinesischen Tellerchen und streue sie auf die Kohle. Ohne den Erfolg abzuwarten, fliehe ich weiter nach oben.

Ein paar Stufen höher treffe ich auf ein faszinierend einfaches Blumengesteck – als Vase dient ein Bambusrohr – mit nur einer einzigen Blüte zwei Gräsern und nichts weiter. Umwerfend! Das gibt es doch gar nicht! Ich könnte weinen. Die Begegnung berührt mich, trifft mich tief, und ich halte erstmalig wirklich inne — einmal Ausatmen —

aber ich will endlich zu Herrn Hiob in sein leuchtendes Zimmer und seine brummelige Herzlichkeit.

Denn wenn man das Reich von Aga Hiob betritt, geht immer die Sonne auf. Es ist herrlich bei ihm da oben. Die obere Etage hat zwar drei Räume, aber die einzelnen Räume sind nicht durch Türen getrennt, so dass es fast wie ein einziges großes Zimmer ist. In dem einen Raum sind die Wände mit vollen Bücherregalen verkleidet, und in dem nächsten Größeren sitzt Herr Hiob wie immer, wenn ich komme, auf seinem Podest und Arbeitsplatz. Das Podest ist einfach ein ganz großes Bett, nur ungewöhnlich hoch. Es ist so hoch, dass ich Mühe habe, hinauf zu klettern. Herr Hiob beugt sich also weit vor und hält mir die Hand entgegen. Wir ziehen beide. Geschafft. Wir sind da.

Herr Hiob freut sich offensichtlich riesig darüber, mich zu sehen, so wie ich mich auch freue, endlich angekommen zu sein. Er lacht: „Hallo mein kleiner Wirbelwind! – Es ist wundervoll, dass du da bist! Es ist eine Ehre, Freude und ein Segen für unsere kleine Welt hier.“ Das mag sich etwas förmlich anhören, aber Herr Hiob sagt Solcherlei, und es hört sich eigentlich immer ganz normal an, kein bisschen überlegt oder gezwungen.

Es ist schön, hier zu sein!

Links von ihm steht unter vielen verschieden großen Schachteln und Schalen und zwischen aufeinandergehäuften Büchern auch eine hart getöpferte, violette Tonschale, voll mit verschiedenfarbigen Edelsteinen, ein paar Glasperlen und alten Münzen. Ich glaube nicht, dass die Steine sehr wertvoll sind, aber sie sind schön und aufregend. Wenn ich sitze schüttet er diese Schale meistens vor mir aus und wir spielen und kramen darin während des Unterrichts herum. Er wählt sich Steine aus und schaut sie interessiert und prüfend an.

Herr Hiob sitzt aufrecht, ziemlich weit hinten an dem Holzrücken des Podests auf einem Kissen im Schneidersitz.

Manchmal liegt er auch mit ausgestreckten Beinen gegen die leicht verzierte Rückwand gelehnt und liest, wenn ich eintreffe. Es liegen immer ein paar Zeitungen herum und Illustrierten mit Filmschauspielerinnen auf den Titelseiten. Ich würde mir die gerne einmal in Ruhe anschauen – solchen Heften bin ich am Hofe eigentlich noch nie begegnet – aber dafür ist nie Zeit, denn ich bin ja zum Lernen hier.

Am Unterricht nimmt Käthe immer nur passiv teil, auch wenn Herr Hiob sie ab und zu neben sich setzt und etwas an ihr herumzupft. Ach hätte ich für Käthe doch nur eine blaue Schuluniform! Die würde ihr blendend gut stehen.

Der Unterricht bei Herrn Hiob läuft eigentlich immer gleich ab. Herr Hiob erzählt mir Geschichten, meistens von Kindern in Europa. Es ist so, als hätte er ganz Europa bereist. Er ist Engländer und zugleich natürlich auch Shambhalianer. Aber soweit ich es sagen kann, kennt er alle europäischen Länder super gut, und ich habe inzwischen auch schon eine detaillierte Vorstellung von der europäischen Landkarte. Er erzählt also Geschichten, und immer wenn ich komme, muss ich erst einmal die Geschichten vom letzten oder vorletzten Besuch nacherzählen. Er hört dann aufmerksam zu und schaut mich dabei ermutigend an. Er selber redet gerne mit Händen und Füßen und also tue ich es ihm gleich. Er ist glaube ich ein alter Mann, aber dadurch, dass er so viel mit seinen langen Armen in der Gegend herumfuchtelt – und nicht nur das, sondern beim Erzählen manchmal der ganze Körper in Bewegung ist –, macht er einen sehr jugendlichen Eindruck. Während ich erzähle – er nennt‘s „die Hausaufgaben“ – unterbricht er mich nie und hilft mir nur, wenn ich ihn suchend anschaue, weil ich mich an den Fortgang der Geschichte nicht mehr erinnern kann. Es kommt vor, dass er mir die gleiche Geschichte noch einmal – leicht verändert – erzählt. Aber meistens erzählt er dabei dann doch etwas Neues. Es ist kein Wunder, dass er so viele Geschichten kennt, bei all den Büchern, die er besitzt. Wobei ich ja auch nie sicher sein kann, ob er nicht etwas erzählt, was er gerade in einem seiner Unterhaltungs-Magazine gelesen hat, denn manchmal hören sich seine Geschichten tatsächlich so an.

Von Reventlow kommt herein und fragt übertrieben förmlich: „Ist alles zur Zufriedenheit? Wünscht die junge Prinzessin vielleicht eine Limonade oder einen Saft?“ Er selber trinkt ständig Coca-Cola! – Der von Reventlow liebt Coca-Cola. – Aber mir bietet er Saft an!

– Dann wird er etwas unruhig, denn es hat unten an der Haustür geklingelt und Obi Van bellt. „Geh´ nur!“ sagt Herr Hiob, und weg ist von Reventlow.

„So, meine liebe Prinzessin, dann erzähle mir bitte einmal, worüber wir am Dienstag gesprochen hatten.“ Ich hasse es, wenn er „wir“ sagt. Dieses „wir“ scheint mir eine dumme Angewohnheit, sehr oberflächlich und ein billiger Versuch sich anzubiedern. Andererseits bin ich hier bei Aga Hiob, dem „Duke“, wie Papa ihn nennt, und wer weiß da schon, wieviel „wirs“ der auf Lager hat und wen der da so alles mit einschließt?!

Ich bin also eine brave Schülerin und fange an, die Geschichte vom jungen Hornblower wieder zu erzählen, der mit seinem kleine Kindersegelboot von England zum Festland fliehen wollte. Wer Herrn Hiob kennt, weiß, dass er es liebt „segeln“ und „fliehen“ wechseldeutig zu benutzen. Das ist eine Marotte von ihm, und er lässt die Frage unheimlich gerne unendlich lange offen, welche der beiden Bedeutungen vorrangig ist. Er ist schon ein ziemlich sonderbarer Mann, etwas verrückt, sogar dann, wenn man sein exotisches Äußeres einmal außer Betracht lässt, welches mich immer an Besucherinnen und Besucher aus Japan, die manchmal bei uns am Hofe empfangen werden, erinnert.

Als ich zu Ende erzählt habe, wird es ruhig. Herr Hiob hatte seine Hände die ganze Zeit über gefaltet, auf dem rechten Oberschenkel ruhend. Sie halten zwei oder drei der Edelsteine. Er bewegt sich auch jetzt nicht. Er sagt nichts, aber er macht sich ruhig und weit. Wir lassen die Ruhe auf uns wirken. Draußen zwitschern ein paar Vögel. Das müssen späte Vögel sein, denn es wird bald Winter.

Gemeinsam werden wir weiter und offener. Weiter passiert gar nichts. Ich renne unheimlich gerne herum, und ich bin auch ungeduldig. Aber mit Herrn Hiob kann ich diese unendlich langen Momente problemlos ruhig und bewegungslos genießen und auch Käthe hält inne.

Das ist eine wundervolle Offenheit, und mir kommt eine Erinnerung:

Ich ganz alleine auf dem Meer,

am Himmel nur einige wenige, kleine Wölkchen;

Einsamkeit;

einen verspielten Seidenschal um den Hals – gelb mit kleinen roten Sternchen –

mit leerem Magen;

dem Gefühl, dass ich mal muss;

und mit leuchtendem, seeligem Herzen…

… Huch!

Es weht ein rauer Wind hier draußen …

Ciao ciao

Euer Winni Quijote

Veröffentlicht von

Winfried Kopps

Winfried Kopps wurde 1951 im Rheinland geboren. Er kam schon sehr früh mit existentialistischer Literatur in Berührung. Die ersten Autoren waren Frisch, Eich, Huysmans, Nietzsche, Sartre und Camus, aber insbesondere wurde er von Hermann Hesse, Rudolf Steiner und LSD erzogen und beeinflußt. Mit 16 las er einen Text über Buddhismus und fühlte sich sofort tief verbunden. Mit 20 verdingte er sich als Fabrikarbeiter und verdiente genug Geld um eine 15-monatige Pilgerreise, Morgenlandfahrt, nach Asien finanzieren zu können. Darauf folgte eine zweijährige Einsiedelei in Spanien. In New Dehli las er die ersten Zeilen von Chögyam Trungpa Rinpoche und erkannte in ihm seinen Guru. Neben dem Studium und der Praxis des Buddhismus und der Shambhala Lehren unter der Leitung von Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche, erforscht er weiterhin begeistert viele verschieden religiöse Traditionen. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen und verdient sein Geld als Unternehmensberater.