Höhere Welten

Ach ja – dieser Materialismus.
Der Materialismus war noch nie so beherrschend wie zur Zeit, oder?
Unsere Wissenschaftler glauben der Wahrheit und der Natur allen Seins näher zu kommen, indem sie Materialien in winzig kleine Teile immer weiter spalten und zerteilen und ausmessen. Sei es Holz, Mondgestein, Metalle oder auch Hirn- oder Leberzellen. Wir haben diesen Forschern viele herrliche Spielzeuge zu verdanken, wie zum Beispiel Autos, Fernseher, iPhones, Notebooks, aber auch Gegenstände, die uns wirklich überlebenswichtige Arbeiten im Alltag abnehmen, so wie Waschmaschinen, Lastwagen, Bohrer, technische Geräte der Medizin und so weiter, und dann natürlich Waffen und Waffensysteme, die sogar Massenmorde ermöglichen, zum Beispiel zur Erhaltung des Friedens.
Also die Geheimnisse des Universums durch Erforschen der Materie zu ergründen, hat viele Früchte getragen. Durch die Erfolge des materialistischen Forschens hat sich ein ganz bestimmtes materialistisches Weltbild verfestigt, während andere Weltbilder an Bedeutung verloren haben. Inzwischen sind viele Menschen bereit alles was die Wissenschaft erklärt – auch wenn man das im Einzelnen nicht nachvollziehen kann – zu glauben. So bedenkenlos haben Menschen zu Zeiten der Inquisition die Erklärungen der Geistlichen geglaubt, und so versuchen junge Männer gerade den Buchstaben des Koran zu folgen. Hier und da erklärt mal ein Wissenschaftsphilosoph, dass der Glaube an die Erklärungen der Wissenschaft eigentlich der durchschaubarste aller Aberglauben ist, aber solche wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sozusagen nichts bringen, verlassen die Räume der Philosophischen Seminare nur sehr selten und werden – wenn überhaupt – von pensionierten Wissenschaftlern wahrgenommen und neugierig beäugt. Es bleibt neben all den Möglichkeiten sich zu beschäftigen, einfach zu wenig Zeit für die Philosophie.
Die einflussreichsten Philosophen mit dem größten Publikum sind heutzutage die Komödianten. Denen hört man zu. Und die sind oft auch wirklich umwerfend tiefgründig, manche davon ganz sicher ohne es zu wissen oder zu wollen.
Die Wissenschaften und ihre Erklärungen haben die Deutungen der Kirchen über Sinn und Wirklichkeit verdrängt, obwohl ja auch in den Wissenschaften vermutet und geglaubt wird. Und das geht so: Es funktioniert etwas; man findet eine Erklärung, die Sinn macht; man glaubt an die Erklärung.
So sind die alten Götter lächerlich geworden, man amüsiert sich über ihre Bärte, die allzu menschlich sind, während wir zu tiefst an Theorien wie der vom Urknall, oder der, dass Bewusstsein ein zufälliges Produkt einer Evolution sei, „glauben“.
Unumstrittene Ideale der modernen Gesellschaften sind äußerliche Schönheit, langes Leben, Gesundheit, Gerechtigkeit, Wissenschaft, Eigentum und Unterhaltung, während es zum guten Ton gehört, Krankheiten, Gebrechen und Tod so lange zu verdrängen wie es geht, obwohl sie doch ganz sinnvolle und durchaus heilsame Elemente des Ganzen sind.
Andere Kulturen – zum Beispiel indische und chinesische – stellen seit mindestens dreitausend Jahren Geist, Sinn und Methode in den Mittelpunkt ihrer Forschung und ihres Lebens und nicht die Materie.
Wieso kann ich fühlen und ausdrücken: „Ich bin.“
Wieso kann ich erkennen?
Was ist Weisheit?
Was ist Sein?
Was ist von Wert?
Wo ist denn hier der Notausgang?
Wenn ich mir sicher bin, etwas wirklich zu verstehen, wer oder was ist sich da sicher?
Was ist Gesunder Menschenverstand?
Natürlich wissen auch diese Suchenden, dass Denken und Erinnerung sich ebenso körperlich ausdrücken. Und natürlich ist es interessant, Gehirnschwingungen zu messen und die Biologie der Zellen zu beobachten, auch um Phänomene wie Bewusstsein zu erforschen. Aber es ist viel einfacher und näher, den Geist zu erforschen, indem man ihm Frieden gönnt. Zulassen dass die Aktivitäten des Geistes sich verlangsamen, so dass man einzelne Vorgänge und Zusammenhänge besser erkennen und untersuchen kann. Zeitlupe durch Meditation, um Schritt für Schritt im Detail erkennen zu können, wie der Geist funktioniert. Vereinfachen und sich auf lange Langeweilen einlassen. Meditieren.
Ein weiteres wichtiges Werkzeug zur Erforschung des Geistes ist die Sprache, zur Reflektion und zur Kommunikation, und der Umgang mit Klängen, Zeichen, Bildern, Symbolen und Ritualen. Und dann kommt noch das Prägende der Wiederholung dazu, also Zeit spielt eine weitere bedeutende Rolle.
Bei der Forschung durch Meditation stößt man sozusagen unfreiwillig auf eine Welt voll Zauber, Güte und Weite. Damit will ich nicht sagen, dass man eine ganz andere Welt entdeckt, die zauberhaft ist, sondern, dass wir Zauber, der immer schon da war, überall wieder entdecken.
Es beginnt mit Frieden. Wenn man regelmäßig meditiert, begegnet man über Kurz oder Lang für Momente tiefem Frieden. Normalerweise sind erste Begegnungen mit innerem Frieden heftig, wie ein Zusammenstoß. Überraschen. Frieden stellt sich bei mehrtägigen Meditationseminaren die ersten Male überraschend ein. Plötzlich ist er da. Für Menschen in dieser hektischen Umgebung und Zeit sind solche Erfahrungen von einfachem Frieden sogar noch einmal extra überwältigend. Aber dieses Überwältigt sein vertreibt den Frieden sehr schnell wieder, und übrig bleibt schon bald nur noch eine Erinnerung, und dass man etwas zu erzählen hat. Aber mit Ausdauer und Geduld bei der Meditation trifft man den Frieden wieder und man gewöhnt sich daran, und die Begegnungen sind nicht mehr so heftig und der Frieden bei der Meditation wird normaler und hält sich länger. Nun versuchen natürlich westliche Wissenschaftler diesen Frieden zu messen und zu wiegen. Und siehe da: die Erfahrung von Frieden führt zu deutlich messbaren körperlichen Veränderungen, unter anderem im Gehirn. Eine materielle Bestätigung von Frieden! Der Mystiker lacht und sagt entwaffnend: „Bewegt der Wind die Fahne oder die Fahne den Wind?“
Unsere Fähigkeiten, Erfahrungen einfach zuzulassen, ohne uns sofort mit einem Messband darauf zu stürzen, sind weitgehend verloren gegangen, dabei würde ich gerade das am Ehesten Glücklich sein oder Genießen nennen.
Aber man kann diese Fähigkeit ja vielleicht zurückgewinnen. Es gibt dazu eine gute Übung: Wir stellen uns sämtliche Phänomene als Produkte des Bewusstseins vor. Wie in einem Traum, in dem wir uns ja auch oft ganzer Welten bewusst sind. Wir stellen uns also vor, wir lebten in einem großen zusammenhängenden Traum und alle Materie ist erträumt und besteht aus Erinnerungen und Vorstellungen. Oder wir stellen uns wie eine 3D-Vorstellung vor und sind da mitten drin. Durch die Übung, immer wieder alles als Traum oder Animation zu betrachten, werden verhärtete Vorstellungen im Laufe der Zeit gelockert und gelöst. Dafür beginnen sich nicht materielle Phänomene zu erschließen, so wie Atmosphären und Magie. Götter, Engel und Dämonen.
Eine andere Methode ganzheitlich zu forschen ist zum Beispiel eine Pflanze, die man kennen lernen will, nicht zu zerhacken und vermessen, sondern einfach auf sich wirken zu lassen. Man setzt sich also geduldig lange Zeit vor eine Pflanze – etwa eine Brennnessel – und schaut sie an, öffnet sich für sie, spricht vielleicht ein bisschen mit ihr, macht ein Kompliment, beschreibt innerlich ihre Schönheit, spiegelt sie auf seine Seele. Berührt sie vorsichtig mit den Fingerspitzen. Träumt sich in sie ein. So geht man mit der Pflanze eine tiefe Beziehung ein, eine geheime Verbindung, ohne Bestätigung. Das braucht viel Zeit und Wiederholung. Der Zauber der Brennnessel wird spürbar, und wenn das Eis erst einmal gebrochen ist, kann die Verbindung und Kommunikation sehr intim und weitreichend werden. Eine Brennnessel hat ja eine völlig andere Sicht und Wahrnehmung. Das kann man auch mit dem Meer machen oder der Wüste oder den Gipfeln der Berge, aber ich empfehle für den Anfang eine kleine Pflanze.
Einfühlen, Einträumen und Imagination öffnen die Türen für die Welten der Reinen Form. Das ist Form ohne Materie und Leidenschaft, zum Beispiel Meditationsbuddhas, Götter, Engel oder Dämonen. Die Welten der reinen Form nennt man höhere Welten, weil sie edel sind, leuchtend mit transparenten aber dennoch scharfen Konturen, „extrem hoch auflösend“ so zu sagen, nein sogar höchste Auflösung, die denkbar ist.

Behutsam und vorsichtig bitte! Es weht ein rauer Wind hier draußen.

Ciao ciao
Euer Winni Quijote

Veröffentlicht von

Winfried Kopps

Winfried Kopps wurde 1951 im Rheinland geboren. Er kam schon sehr früh mit existentialistischer Literatur in Berührung. Die ersten Autoren waren Frisch, Eich, Huysmans, Nietzsche, Sartre und Camus, aber insbesondere wurde er von Hermann Hesse, Rudolf Steiner und LSD erzogen und beeinflußt. Mit 16 las er einen Text über Buddhismus und fühlte sich sofort tief verbunden. Mit 20 verdingte er sich als Fabrikarbeiter und verdiente genug Geld um eine 15-monatige Pilgerreise, Morgenlandfahrt, nach Asien finanzieren zu können. Darauf folgte eine zweijährige Einsiedelei in Spanien. In New Dehli las er die ersten Zeilen von Chögyam Trungpa Rinpoche und erkannte in ihm seinen Guru. Neben dem Studium und der Praxis des Buddhismus und der Shambhala Lehren unter der Leitung von Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche, erforscht er weiterhin begeistert viele verschieden religiöse Traditionen. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen und verdient sein Geld als Unternehmensberater.