Vielleicht

Guten Morgen liebe Leute!

Grundsätzlich ist es leicht zu verstehen, dass Erklärungen des Sinns des Lebens, der Natur des Geistes, oder der Natur der Wirklichkeit immer nur richtungsweisend sein können aber nie wahr. Wenn man dann weiter sagt: denn Wirklichkeit lässt sich nicht erklären, dann wenden Viele ihren Blick ergeben nach oben zu Gott oder Allah oder irgendetwas Jenseitigem und seufzen demütig. Aber das muss nicht sein. Erkenntnis in die Natur der Wirklichkeit ist möglich, denn daraus bestehen wir, aber sie liegt jenseits von Erklärungen. Andererseits können wir uns ihr aber nur durch Erklärungen und Methoden annähern. Nun sind viele dieser Lehren, Meditationen und Rituale so wundervoll und beglückend, dass wir uns erst einmal nur darüber freuen können. Nur – hier liegt auch die Gefahr sich einzumauern. Wir verlieben uns in die Methoden und wollen sie nicht mehr loslassen oder wechseln.
Vielleicht mache ich eine Yogaserie perfekt. Die körperliche Seite der Übung ist perfekt, die Arbeit mit den feinstofflichen Energien, vielleicht sogar zwei Systeme gleichzeitig, läuft bestens und obendrein passen die Visualisationen und tun ihre Arbeit. Perfekt. Leider – muss ich fast sagen – leider wäre es an dieser Stelle gut die Serie zu vergessen und mit etwas Neuem zu beginnen. Denn wenn es mühelos und fast von selber läuft, dann beginnt es „alter Käse“ zu werden. Man bekämpft dann höchstens noch Eitelkeit und Selbstherrlichkeit, die Übung wird zum Selbstzweck. Das ewige Leben wird der Yoga nicht bringen, also: Schluss damit! Denn alter Käse stinkt.
Wenn ich in Vorträgen zum Buddhismus von 7 oder gar zwölf Sinnen redete, oder von 6 Elementen statt 5,, also gar nicht einfach aus Lust und Tollerei, sondern weil ich gerade fand, dass es passte, dann kamen manchmal anschließend buddhistische Kollegen freundlich zu mir und meinten: Winni, dir ist da ein Fehler unterlaufen, ließ ´mal dieses oder jenes Buch, oder Kapitel soundso in diesem oder jenem Text. Das war natürlich amüsant und außerdem kann es ja nicht lehrreicher sein, als wenn die Zuhörer plötzlich denken müssen: „Wie bitte?!!?“ Dann hat man doch seine Aufgabe als Lehrer erfüllt, oder?
Mein Lehrer Chögyam Trungpa Rinpoche hatte zeitweise die Angewohnheit in jeden Satz ein „vielleicht“ oder „möglicherweise“ einzubauen. Warum tat er das? Vielleicht deshalb, weil jedes „Vielleicht“ den Zuhörer zwingt zu hinterfragen und zu prüfen, ob der eigene gesunde Menschenverstand, das eigene Herz, da nicht rebelliert. In den Niederschriften von Rinpoches Vorträgen findet man diese Wörter nur selten, sie sind den Lektoren zum Opfer gefallen.
Den Finger, der auf den Mond weist, nicht für den Mond selber zu halten, ist eine der wesentlichen Lehren des Mahayana Buddhismus. Natürlich finden sich auch schon im frühen Buddhismus Lehren zu diesem Thema, aber in der Zeit in der sich Mahayana Buddhismus entwickelte, also auch unter dem Einfluss chinesischer Weisheitslehren und dann auf der Reise des Dharma nach Tibet, gewannen diese Lehren, die auch vor Absurdem, Surrealem und Verrücktem nicht halt machten, zunehmend an Bedeutung.
Genau wegen dieser Aspekte des Buddhismus war ich mir sehr früh schon so sicher Buddhist zu sein und erkannte Trungpa Rinpoche als meinen Guru. Es gibt Erkenntnis, und auf dem Weg dahin lässt man die Beschränkungen von Erklärungen immer wieder fallen. Ja, immer wieder, denn das ist keine einmalige Sache, die Vorhänge der Erklärungen ziehen sich immer wieder zu und man muss sie also immer wieder auf ein Neues zerreißen.
Andererseits gäbe es ohne Erklärungen, Wissenschaften, Listen, Statistiken und Vergleiche in Fragen der Philosophien und Religionen überhaupt keinen Pfad zur Erkenntnis. Ganz im Gegenteil: ohne die verschiedenen Ebenen von Erklärungen und Yogas – nennen wir sie Schulungswege – wäre Erkenntnis vielleicht gar nicht möglich.
Mir fällt es sehr schwer meine geliebten Einsichten und Erkenntnisse immer wieder zu hinterfragen, denn ich liebe die verschiedenen Schulungswege leidenschaftlich, und ich liebe die Buddhas und Bodhisattvas, die mir auf diesen Wegen begegnen. Aber das Interessant ist, dass diese Buddhas und Bodhisattvas nicht verblassen, wenn man sie als Methoden durchschaut und fallen lässt, sondern während man das tut verändern sie ihre Qualität und es entsteht Raum für etwas Realeres. Sie sind dann weniger emotional dafür aber transparenter, und sie werden bei diesen Prozessen sogar klarer, natürlicher und leuchtender.

Ich verneige mich vor den Buddhas, Bodhisattvas und Dharmakönigen der drei Zeiten
Welch eine Freude!

Ciao ciao
Euer Winni Quijote

Veröffentlicht von

Winfried Kopps

Winfried Kopps wurde 1951 im Rheinland geboren. Er kam schon sehr früh mit existentialistischer Literatur in Berührung. Die ersten Autoren waren Frisch, Eich, Huysmans, Nietzsche, Sartre und Camus, aber insbesondere wurde er von Hermann Hesse, Rudolf Steiner und LSD erzogen und beeinflußt. Mit 16 las er einen Text über Buddhismus und fühlte sich sofort tief verbunden. Mit 20 verdingte er sich als Fabrikarbeiter und verdiente genug Geld um eine 15-monatige Pilgerreise, Morgenlandfahrt, nach Asien finanzieren zu können. Darauf folgte eine zweijährige Einsiedelei in Spanien. In New Dehli las er die ersten Zeilen von Chögyam Trungpa Rinpoche und erkannte in ihm seinen Guru. Neben dem Studium und der Praxis des Buddhismus und der Shambhala Lehren unter der Leitung von Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche, erforscht er weiterhin begeistert viele verschieden religiöse Traditionen. Er ist Vater von zwei erwachsenen Söhnen und verdient sein Geld als Unternehmensberater.